Als Yogalehrerin mit einem Hintergrund in Musik – ich habe Gesang und Klavier studiert – hat mich die Welt der Mantren von Anfang an fasziniert. Die Verbindung von Yoga und Musik in Form von Mantren war für mich wie eine Offenbarung. Doch ich weiß auch, dass viele Yogalehrerinnen und -lehrer vor der Herausforderung stehen, Mantren in ihren Unterricht zu integrieren. Selbst ein einfaches “Om” kann manchmal wie eine unüberwindbare Hürde erscheinen. In diesem Artikel möchte ich meine Erfahrungen teilen und zeigen, warum sich das Überwinden dieser Unsicherheiten wirklich lohnt.
Die Kraft des Singens im Yoga
Bevor wir uns den Mantren im Speziellen widmen, lass uns einen Blick auf die allgemeinen Vorteile des Singens werfen:
- Atemregulation: Singen fördert eine tiefe, bewusste Atmung und verbessert die Lungenkapazität.
- Stressabbau: Der Akt des Singens setzt Endorphine frei und reduziert Stresshormone wie Cortisol.
- Gemeinschaftsgefühl: Gemeinsames Singen schafft ein Gefühl der Verbundenheit in der Gruppe.
- Fokussierung des Geistes: Singen kann wie eine Form der Meditation wirken und den Geist beruhigen.
- Emotionale Ausdrucksmöglichkeit: Es bietet einen Weg, Gefühle auszudrücken und zu verarbeiten.
Bei einem Ausbildungswochenende in Wien saßen mir knapp 30 angehende YogalehrerInnen gegenüber. In der Pause hörte ich zufällig mit, dass einige von ihnen das „Mantren-Gedöns“ nicht besonders prickelnd fanden. Das kostet auch mich immer noch viel Energie, das Augenrollen und tiefe Durchatmen der TeilnehmerInnen auszuhalten, vor allem, wenn ich dennoch mit ihnen singen möchte. Am Ende des Wochenendes, bei der Abschlussrunde am Sonntagabend, war genau das Singen, was ihnen so gut gefallen hat – obwohl viele es vorher nicht mochten und auch gar nicht damit gerechnet hatten, dass es so eine Wirkung auf sie haben würde. Die Rückmeldung war, dass es sie als Gruppe echt noch mehr zusammengeschweißt hat und dass sie klar und auch entspannt nach Hause gehen, nach diesem intensiven Wochenenden.
Und ein mega gutes Beispiel zur Kraft des Singens allgemein ist das meiner Fahrprüfung. Als ich meine Fahrprüfung mit 18 Jahren hatte, war ich extrem nervös, weil mein Fahrlehrer nicht gerade ermutigend war. Ich saß angeschnallt im Auto und wartete auf den Prüfer, und meine Angst wurde immer größer. Ich erinnerte mich daran, dass man nicht gleichzeitig Angst haben und singen kann. Also begann ich zu singen, während ich wartete. Die Melodie beruhigte mich, und meine Nervosität löste sich langsam auf. Das Singen half mir, ruhig und konzentriert zu bleiben – und ich bestand die Prüfung. Diese Erfahrung hat mir gezeigt, wie kraftvoll Singen in Momenten der Angst sein kann.
Die besondere Bedeutung von Mantren
Mantren gehen über das einfache Singen hinaus. Sie sind spirituelle Klangformeln, die seit Jahrtausenden in der Yogapraxis verwendet werden. Hier einige ihrer spezifischen Vorteile:
- Vibrationsenergie: Mantren erzeugen spezifische Schwingungen, die positiv auf Körper und Geist wirken sollen.
- Fokus und Konzentration: Die Wiederholung von Mantren hilft, den Geist zu fokussieren und zu beruhigen.
- Spirituelle Verbindung: Mantren können das Gefühl einer tieferen spirituellen Verbindung fördern.
- Energetische Reinigung: Bestimmte Mantren sollen die Energie in und um uns herum reinigen und harmonisieren.
- Traditionelle Weisheit: Durch Mantren verbinden wir uns mit der jahrtausendealten Weisheit des Yoga.
Meine persönliche Erfahrung mit Mantren
Als ich zum ersten Mal mit Mantren in Berührung kam, war ich sofort begeistert. Die Verbindung von Melodie, Rhythmus und spiritueller Bedeutung sprach mich auf einer tiefen Ebene an. Doch ich merkte schnell, dass nicht alle meine Schülerinnen und Schüler diese Begeisterung sofort teilten. Manche wirkten unsicher, andere sogar skeptisch.
Aber ich habe gelernt, dass gerade die größten Skeptiker oft am Ende am begeistertsten sind. Ich kann gar nicht zählen, wie viele positive Rückmeldungen ich im Laufe der Zeit bekommen habe. Schülerinnen und Schüler erzählten mir, dass sie angefangen haben, Mantren im Auto zu singen, ihre Kinder damit in den Schlaf zu singen oder sie bei der Hausarbeit zu summen. Diese Geschichten bestärken mich immer wieder darin, Mantren in meinem Unterricht zu integrieren.
Die Herausforderung: Unsicherheit und Unbehagen
Trotz der vielen Vorteile zögern viele Yogalehrerinnen und -lehrer, Mantren in ihren Unterricht zu integrieren, was auf verschiedene Gründe zurückzuführen ist. Oft spielt die eigene Unsicherheit eine große Rolle – vielleicht fühlt man sich selbst nicht sicher im Singen oder in der Aussprache der Mantren. Dazu kommt die Angst vor Ablehnung, denn die Sorge, dass die Schülerinnen und Schüler das Mantren-Singen als befremdlich oder peinlich empfinden könnten, ist weit verbreitet. Auch kulturelle Sensibilität stellt eine Hürde dar, da Bedenken über kulturelle Aneignung oder die Vermittlung religiöser Inhalte aufkommen. Schließlich beeinflusst auch die Gruppendynamik die Entscheidung, Mantren zu verwenden, da manche befürchten, dass sich einzelne Teilnehmende unwohl fühlen könnten, was die Harmonie in der Gruppe stören würde.
Meine Strategien zur Integration von Mantren in deinen Unterricht
Hier einige praktische Tipps, wie du Mantren sanft und respektvoll in deinen Yogaunterricht einführen kannst:
- Beginne mit dir selbst: Übe das Singen von Mantren für dich alleine, um Sicherheit und Vertrautheit zu gewinnen.
- Erkläre den Hintergrund: Gib deinen Schülerinnen und Schülern Informationen über die Bedeutung und die Vorteile von Mantren. Wissen reduziert oft Unsicherheiten.
- Starte klein: Beginne mit einem einfachen “Om” am Anfang oder Ende der Stunde. Lass es wachsen, wenn sich alle damit wohler fühlen.
- Mache es optional: Betone, dass das Mitsingen freiwillig ist. Schülerinnen und Schüler können auch einfach zuhören und die Vibrationen spüren.
- Schaffe eine sichere Umgebung: Dimme das Licht oder lass die Teilnehmenden die Augen schließen, um eventuelle Hemmungen zu reduzieren.
- Verwende Aufnahmen: Spiele zunächst Aufnahmen von Mantren ab, bevor du selbst singst. So können sich alle an den Klang gewöhnen.
- Verbinde es mit der Praxis: Integriere Mantren in die Asana-Praxis, z.B. als Fokuspunkt während einer herausfordernden Haltung.
- Sei authentisch: Teile deine eigenen Erfahrungen und vielleicht auch anfänglichen Unsicherheiten mit Mantren. Das macht dich nahbar und ermutigt andere.
- Biete Alternativen: Für diejenigen, die sich mit Sanskrit-Mantren unwohl fühlen, kannst du auch einfache Affirmationen oder Summen anbieten.
- Übe Geduld: Gib deinen Schülerinnen und Schülern (und dir selbst) Zeit, sich an diese neue Praxis zu gewöhnen. Mit der Zeit wird es natürlicher werden.
Die Bedeutung von Geduld und Ausdauer
Aus meiner Erfahrung kann ich sagen: Geduld ist der Schlüssel. Nur weil beim ersten Mal nicht alle begeistert mitsingen, heißt das nicht, dass es den Teilnehmerinnen und Teilnehmern nicht gefallen hat. Ich habe gelernt, dass manche nicht mitsingen, weil sie Angst haben, dass andere ihre Stimme hören könnten.
Das erinnert mich an meine eigene Geschichte. In der Schule hörte ich oft Kommentare wie: “Boah, singst du hoch, das hört sich ja schrecklich an.” Wer hätte damals gedacht, dass ich später Gesang studieren und meine hohe Sopranstimme gefeiert würde? Diese Erfahrung hat mich gelehrt, dass es Zeit brauchen kann, bis das Singen wieder positiv besetzt ist. Je nachdem, welche Erfahrungen jemand gemacht hat, kann es ein Prozess sein, sich wieder ans Singen heranzutasten.
Die transformative Kraft des Singens
Eine besonders berührende Erfahrung hatte ich einmal während Shavasana, als ich ein Mantra a cappella sang. Eine Teilnehmerin weinte leise und erzählte mir nach der Stunde, wie bewegt sie war. Ihr war aufgefallen, dass seit ihrer Kindheit niemand mehr für sie gesungen hatte, und wie schön es für sie war, diese Erfahrung wieder zu machen.
Solche Momente zeigen mir immer wieder, wie kraftvoll und heilsam das Singen von Mantren sein kann. Sie erinnern mich daran, warum ich nicht aufgebe und es immer wieder versuche, meine Schülerinnen und Schüler sanft an das Thema heranzuführen.
Fazit: Mut zum Klang
Das Integrieren von Mantren in deinen Yogaunterricht mag zunächst eine Herausforderung sein, aber es ist eine, die sich wirklich lohnt. Indem du dich dieser Praxis öffnest, bereicherst du nicht nur den Unterricht für deine Schülerinnen und Schüler, sondern auch deine eigene Lehrerfahrung.
Erinnere dich: Jede Yogalehrerin und jeder Yogalehrer hat einmal als Anfänger begonnen. Mit Geduld, Übung und Authentizität kannst du die transformative Kraft der Mantren in deinen Unterricht bringen und deinen Schülerinnen und Schülern ein tieferes, ganzheitlicheres Yoga-Erlebnis bieten.
Wage den ersten Schritt, lass deine Stimme erklingen und entdecke die verbindende, heilende Kraft des Mantren-Singens im Yoga. Wer weiß, vielleicht inspirierst du damit jemanden, seine eigene Stimme wiederzuentdecken. Sat Nam!